Die Lüge von der Freiheitsideologie - eine kurze psychoanalytische Betrachtung

Die Lüge von der Freiheitsideologie - eine kurze psychoanalytische Betrachtung

Nach Freud besteht die Entwicklung des psychischen „Ichs“ aus der Entfernung des Menschen aus seiner frühkindlichen Vollkommenheit – einer Phase, in der der Mensch noch nicht zwischen sich selbst und seiner Umwelt unterscheiden kann und somit sein eigenes Ideal ist. Da der Mensch unfähig ist auf eine einmal genossene Befriedigung zu verzichten [1], löst die Entfernung aus diesem primären Narzissmus ein intensives Streben danach aus, diese Vollkommenheit erneut zu erleben. Die Entfernung vom primären Narzissmus erfolgt durch eine Libidoverschiebung auf ein von außen aufgenötigtes (durch erzieherische Autoritäten wie Lehrer, Eltern usw.) Ich-Ideal, welches als Seite des Über-Ichs ein persönliches Bild des richtigen Verhaltens und Erlebens darstellt. Die libidinöse Besetzung des Ich-Ideals sowie die Distanz zwischen Ich und Ich-Ideal führen zu dauerhaften Versuchen, die Kluft zwischen Ich und Ich-Ideal zu überwinden und somit wieder in den Genuss der verlorenen kindlichen Glückseligkeit zu gelangen.[2] Beispielsweise haben viele Menschen in ihrem Ich-Ideal verankert, dass sie fleißig und diszipliniert sind – in der Realität werden auch diese Menschen mindestens faule Tage und Momente haben. Diese unbewusste Distanz zwischen wahrem Ich und Ich-Ideal führt zu psychischen Spannungszuständen. Um diese zu reduzieren haben Menschen mit den Abwehrmechanismen verschiedene Möglichkeiten. Einer dieser eher unreifen Abwehrmechanismen ist die, für Ideologien grundlegende, Projektion, welche weiter unten erklärt wird.

Das Konzept des Ich-Ideals ist bei Freud grundlegend zum Verständnis kollektiver Phänomene wie Religionen oder Ideologien. Der Glaube an eine Möglichkeit zu einer Rückkehr in eine Zeit vor der Aufspaltung in Subjekt und Außenwelt, beziehungsweise Ich und Nicht-Ich, ist in der freudianischen Theorie ein wesentliches Merkmal der sogenannten Illusion:

Wir heißen also einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit ab, ebenso wie die Illusion auf ihre Beglaubigung verzichtet. [3]

Nach den französischen Analytikern Grunberger & Chasseguet-Smirgel ist eine Ideologie als ein umfassendes Denksystem oder als eine politisch-historische Interpretation mit dem (auch unbewussten) Ziel der Realisierung einer Illusion, welche als Illusion einer möglichen Vereinigung von Ich und Ideal auf kürzestem Wege die Illusion schlechthin ist, zu verstehen. Die Ideologie ist also die bewusste Ableitung der Illusion einer möglichen Idealisierung des Ichs – also einer Konvergenz aus Ich und Ich-Ideal – im Diesseits.[4]

Diese Idealisierung (im Sinne von „Idealwerdung“) des Ichs im Diesseits kann ohne Projektion[5] nicht existieren, also einer psychischen Operation, bei der das Individuum Qualitäten, Gefühle, Wünsche und auch Objekte, die es verkennt oder in sich ablehnt, aus sich ausschließt und in dem Anderen, Person oder Sache lokalisiert. Das Individuum muss die eigenen Eigenschaften, Triebe und Wünsche, die es in sich ablehnt – die also die Kluft zwischen Ich und Ich-Ideal darstellen – von dem Ich lösen und auf ein anderes Objekt projizieren. Beispiele dafür sind etwa „die Juden“ im Dritten Reich, die Bourgeoisie/das Kapital im Marxismus oder der Sozialschmarotzer im Objektivismus. Diese Projektionsobjekte, werden zu Trägern der Ich-Anteile, die der Ich-Idealisierung im Wege stehen. Folgerichtigerweise müssen sie verfolgt und erbarmungslos vernichtet werden.

Wir kennen Ausprägungen solcher Ideologien mitsamt ihren Illusionen der Ich-Idealisierung aus dem Dritten Reich, der UdSSR, der DDR, diversen Strömungen der Weltreligionen und quasi jedem Kult.

Der Libertarismus – als „Jeder Mensch hat das Recht in Ruhe gelassen zu werden“-Ideengebilde – kennt eine solche Illusion nicht. Er bietet keine Möglichkeit zur Ich-Idealisierung, als nicht-utopistische Weltanschauung existieren ebenfalls keine Versprechungen des absoluten Glücks oder eines Paradieses auf Erden. Auch eine Vorstellung, wie der Mensch zu sein hat – also eine Entsprechung des Ariers im Nationalsozialismus, der sogenannten „sozialistischen Persönlichkeit“ im Sozialismus oder dem „rationalen Egoisten“ im Objektivismus nach Ayn Rand – sind dem Libertarismus fremd. Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft, etwa einen Gegenpart zur Arbeiter-und-Bauern-Republik der roten Sozialisten, dem Blut-und-Boden-Ethnostaat der braunen Sozialisten oder der rational-egoistischen Gesellschaft eines objektivistischen Minimalstaats, existieren jenseits des Nichtaggressionsprinzips und dem Recht auf freie Assoziation nicht.

Als Idee der maximalen individuellen Freiheit, des Selbsteigentums und des Nicht-Aggressionsprinzips erzählt der Libertarismus keine illusorischen Lügen eines Paradieses im Hier und Jetzt. Das Fehlen einer Idealisierungsmöglichkeit hat selbstverständlich politstrategische Nachteile: eine popkulturelle Breitenwirkung wird ebenso erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht, wie die Manipulation junger Menschen im Identitätsbildungsprozess. Die zentralen Vorteile sollten jedoch nicht unerwähnt bleiben: Der Libertarismus macht keine falschen Versprechungen und einen Mord im Namen des Ideals kann es in ihm nicht geben.

--

Quellen

  • [1] Sigmund Freud, Gesammelte Werke.

  • [2] Ebd.

  • [3] Sigmund Freud, Die Zukunft einer Illusion

  • [4] Bela Grunberger & Janine Chasseguet-Smirgel, Freud oder Reich? – Psychoanalyse und Illusion

  • [5] Vgl. J. Laplanche & J. B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse

  • Artikel teilen:
heimatlooser
Autor
heimatlooser