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- 13. Oktober 2022
Totalitärer Kommunismus, Münster 1534-35
Der Nordwesten Deutschlands war zu dieser Zeit von einer Reihe kleiner Kirchenstaaten übersät, die jeweils von einem Fürstbischof geleitet wurden. Der Staat wurde von aristokratischen Klerikern geleitet, die jeweils einen von ihnen zum Bischof wählten. Im Allgemeinen waren diese Bischöfe weltliche Herren, die nicht geweiht waren. Durch Steuerverhandlungen hatte sich die Hauptstadt eines jeden dieser Staaten in der Regel ein gewisses Maß an Autonomie erkämpft. Der Klerus, der die herrschende Elite des Staates bildete, befreite sich selbst von der Steuerpflicht und erlegte dem Rest der Bevölkerung sehr hohe Steuern auf. Im Allgemeinen wurden die Hauptstädte von der eigenen Machtelite beherrscht, einer Oligarchie von Zünften, die die Macht der Regierung nutzten, um ihre verschiedenen Berufe und Beschäftigungen zu kartellieren.
Der größte dieser Kirchenstaaten in Nordwestdeutschland war das Bistum Münster, dessen Hauptstadt Münster, eine Stadt mit etwa 10.000 Einwohnern, von den städtischen Zünften verwaltet wurde. Die Zünfte Münsters waren besonders vom wirtschaftlichen Wettbewerb der Mönche betroffen, die nicht gezwungen waren sich an die Beschränkungen und Vorschriften der Zünfte zu halten.
Während des Bauernkrieges nahmen die Hauptstädte mehrerer dieser Staaten, darunter auch Münster, die Gelegenheit wahr sich in einer Revolte zu erheben und der Bischof von Münster war gezwungen zahlreiche Zugeständnisse zu machen. Nach der Niederschlagung des Aufstands nahm der Bischof jedoch die Zugeständnisse zurück und stellte das alte Regime wieder her. Im Jahr 1532 konnten die Zünfte jedoch mit Unterstützung des Volkes zurückschlagen und die Stadt übernehmen, was den Bischof bald dazu veranlasste, Münster offiziell zur Lutherstadt zu ernennen.
Es sollte jedoch nicht lange so bleiben. Aus dem ganzen Nordwesten strömten Horden von Anhängern der Wiedertäuferbewegung nach Münster und suchten nach dem Beginn des «Neuen Jerusalem». Aus den nördlichen Niederlanden kamen Hunderte Melchioriten, Anhänger des Wanderpredigers Melchior Hoffmann. Hoffmann, ein ungebildeter Kürschner-Lehrling aus Schwaben im Süden Deutschlands, war jahrelang durch Europa gewandert, um den Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu zu erkunden, den er nach seinen Forschungen auf das Jahr 1533, den fünfzehnten Hundert-Jahr-Tag des Todes Jesu, festgelegt hatte. Der Melchiorismus hatte sich in den nördlichen Niederlanden ausgebreitet und viele Anhänger strömten nach Münster und bekehrten rasch die ärmeren Schichten der Stadt. In der Zwischenzeit erhielt die Wiedertäuferbewegung in Münster einen großen Schub nach vorne, als der junge, wortgewandte und populäre Pfarrer Bernt Rothmann, ein hochgebildeter Sohn eines städtischen Schmieds, zum Wiedertäufertum übertrat. Ursprünglich ein katholischer Priester, war Rothmann ein Freund Luthers und der Leiter der lutherischen Bewegung in Münster geworden. Rothmann, der zum Wiedertäufertum konvertiert war, verschrieb seine wortgewandten Predigten der Sache des Kommunismus, wie er in der christlichen Urkirche existiert haben soll, in welchem alles Gemeineigentum ohne "Mein und Dein" war und jedem entsprechend seinem “Bedarf” gegeben wurde. Als Reaktion auf Rothmanns Ruf strömten Tausende nach Münster, Hunderte von Armen, Entwurzelten, hoffnungslos Verschuldeten und "Menschen, die, nachdem sie das Vermögen ihrer Eltern durchgebracht hatten, durch eigenen Fleiß nichts mehr verdienten...". Leute im Allgemeinen, die von der Idee der "Ausplünderung und des Raubes am Klerus und an den reicheren Bürgern" angezogen wurden. Die verängstigten Bürger versuchten, Rothmann und die Wiedertäuferprediger zu vertreiben, waren aber ohne Erfolg.
Im Jahr 1533 kehrte Melchior Hoffmann in der Gewissheit, dass die Wiederkunft Jesu bald stattfinden würde nach Straßburg zurück, wo er großen Erfolg gehabt hatte und nannte sich selbst Prophet Elias. Er wurde umgehend ins Gefängnis gesteckt und blieb dort bis zu seinem Tod ein Jahrzehnt später.
Hoffmann war, trotz aller Ähnlichkeiten mit den anderen, ein friedlicher Mensch, der seinen Anhängern zur Gewaltlosigkeit riet; denn wenn Jesus bald wiederkommen würde, warum sich an Ungläubigen vergreifen? Hoffmanns Inhaftierung und die Tatsache, dass 1533 keine Wiederkunft Jesu stattfand, diskreditierten Melchior und seine Anhänger aus Münster wandten sich weitaus gewalttätigeren, postmillennialistischen Propheten zu, die glaubten, das Gottesreich mit Feuer und Schwert errichten zu müssen.
Der neue Anführer der Zwangstäufer war ein niederländischer Bäcker aus Haarlem, ein gewisser Jan Matthys (Matthyszoon). Indem er den Geist von Thomas Müntzer wiederbelebte, sandte Matthys von Haarlem aus Missionare oder "Apostel" aus, um alle, die sie konnten zu taufen und um "Bischöfe" zu ernennen, die befugt waren zu taufen. Als die neuen Apostel Anfang 1534 in Münster eintrafen, wurden sie, wie nicht anders zu erwarten, mit großem Enthusiasmus empfangen. Im Rausch der Begeisterung wurde sogar Rothmann ein weiteres Mal getauft, gefolgt von vielen Ex-Nonnen und einem großen Teil der Bevölkerung. Innerhalb einer Woche hatten die Apostel 1.400 Menschen wiedergetauft.
Bald traf ein weiterer Apostel ein, ein junger Mann von 25 Jahren, der nur einige Monate zuvor von Matthys bekehrt und getauft worden war: Es war Jan Bockelson (Bockelszoon, Beukelsz), der bald als Johann von Leyden bekannt wurde. Obwohl gut aussehend und wortgewandt, war Bockelson eine geplagte Seele, denn er wurde als unehelicher Sohn des Bürgermeisters eines holländischen Dorfes von einer westfälischen Leibeigenen geboren. Bockelson begann sein Leben als Schneiderlehrling, heiratete eine reiche Witwe, ging dann aber in Konkurs als er sich als selbständiger Kaufmann niederließ.
Im Februar 1534 gewann Bockelson die Unterstützung des wohlhabenden Tuchhändlers Bernt Knipperdollinck, des mächtigen Anführers der münsterschen Zünfte, und heiratete geschickt Knipperdollincks Tochter. Am 8. Februar rannten Schwiegersohn und Schwiegervater gemeinsam wild durch die Straßen und riefen alle zur Umkehr auf. Nach viel wilder Aufregung, Massen, die sich auf dem Boden wanden und apokalyptische Visionen sahen, erhoben sich die Wiedertäufer, besetzten das Rathaus und erlangten die rechtliche Anerkennung ihrer Bewegung.
Als Reaktion auf diesen erfolgreichen Aufstand verließen viele wohlhabende Lutheraner die Stadt und die Wiedertäufer schickten in ihrem Überschwang Boten in die umliegenden Gebiete, die alle aufforderten, nach Münster zu kommen. Der Rest der Welt, so verkündeten sie, würde in ein oder zwei Monaten zerstört werden; nur Münster würde gerettet, um das «Neue Jerusalem» zu werden. Tausende Menschen, teilweise aus Flandern und Friesland in den nördlichen Niederlanden, strömten ein. Infolgedessen gewannen die Wiedertäufer schnell eine Mehrheit im Stadtrat und auf diesen Erfolg folgte drei Tage später, am 24. Februar, eine Orgie der Plünderung von Büchern, Statuen und Gemälden aus den Kirchen und der ganzen Stadt. Bald kam Jan Matthys selbst an, ein großer, hagerer Mann mit einem langen schwarzen Bart. Matthys, unterstützt von Bockelson, wurde in kurzer Zeit zum faktischen Diktator der Stadt. Die Zwangstäufer hatten endlich eine Stadt eingenommen. Das große kommunistische Experiment konnte nun beginnen.
Das erste große Programm dieser rigiden Theokratie bestand natürlich darin, das «Neue Jerusalem» von den Unreinen und Gottlosen zu säubern, als Vorspiel für ihre endgültige Ausrottung in der ganzen Welt. Matthys forderte daher die Hinrichtung aller verbliebenen Katholiken und Lutheraner, doch Knipperdollinck behielt einen kühleren Kopf, denn er warnte Matthys davor, dass das Abschlachten aller anderen Christen die übrige Welt in Aufregung versetzen könnte, sodass sie alle kommen und das «Neue Jerusalem» in seiner Wiege vernichten könnten. Es wurde daher beschlossen, das Nächstbeste zu tun und am 27. Februar wurden die Katholiken und Lutheraner aus der Stadt vertrieben und zwar inmitten eines schrecklichen Schneesturms. In einer Tat, die dem kommunistischen Kambodscha zuvorkam, wurden alle Nicht-Wiedertäufer, darunter alte Menschen, Invaliden, Neugeborene und schwangere Frauen in den Schneesturm getrieben und alle waren gezwungen, ihr gesamtes Geld, ihren Besitz, ihre Lebensmittel und ihre Kleidung zurückzulassen. Die verbliebenen Lutheraner und Katholiken wurden zwangsweise umgetauft und alle, die sich diesem Dienst verweigerten, wurden hingerichtet.
Die Vertreibung aller Lutheraner und Katholiken genügte dem Bischof als Anlass am nächsten Tag, dem 28. Februar, eine lange militärische Belagerung der Stadt zu beginnen. Mit der Einberufung aller Menschen zum Belagerungsdienst startete Jan Matthys seine totalitäre kommunistische soziale Revolution.
Der erste Schritt bestand darin das Eigentum der Vertriebenen zu beschlagnahmen. Alle weltlichen Güter wurden in zentralen Depots gelagert und die Armen wurden ermutigt, sich "entsprechend ihren Bedürfnissen" davon zu nehmen, wobei die "Bedürfnisse" von sieben von Matthys ausgewählten "Diakonen" gedeutet werden sollten. Als ein Schmied gegen diese von holländischen Ausländern auferlegten Maßnahmen protestierte, verhaftete Matthys den mutigen Schmied. Matthys rief die gesamte Bevölkerung der Stadt zusammen und erstach, erschoss und tötete den "gottlosen" Schmied persönlich. Außerdem warf er mehrere angesehene Bürger ins Gefängnis, die gegen die Behandlung des Schmieds protestiert hatten. Die Menge wurde gewarnt, Nutzen aus dieser öffentlichen Hinrichtung zu ziehen, und sie sang gehorsam eine Hymne zu Ehren der Tötung.
Ein wichtiger Teil der Schreckensherrschaft der Wiedertäufer in Münster wurde nun enthüllt. Zielsicher, wie die kambodschanischen Kommunisten viereinhalb Jahrhunderte später, erkannte die neue herrschende Elite, dass die Abschaffung des Privateigentums an Geld die Bevölkerung in totale sklavische Abhängigkeit von den Machthabern bringen würde. Und so starteten Matthys, Rothmann und andere eine Propagandakampagne, dass es unchristlich sei, privat Geld zu besitzen; dass alles Geld "gemeinschaftlich" besessen werden müsse, was in der Praxis bedeutete, dass alles Geld an Matthys und seine herrschende Clique übergeben werden musste. Mehrere Wiedertäufer, die ihr Geld behalten oder versteckt hatten, wurden verhaftet und dann eingeschüchtert, sodass sie auf ihren Knien zu Matthys krochen, um Vergebung baten und ihn anflehten, für sie bei Gott Fürsprache einzulegen. Matthys "vergab" dann gnädig den Sündern.
Nach zwei Monaten starken und unnachgiebigen Drucks, einer Kombination aus Propaganda über die Christlichkeit der Abschaffung des privaten Geldes und Drohungen und Terror gegen diejenigen, die sich nicht ergaben, wurde das private Eigentum an Geld in Münster tatsächlich abgeschafft. Die Regierung beschlagnahmte das gesamte Geld und verwendete es, um Waren von außerhalb zu kaufen oder zu mieten. Die Löhne wurden in Naturalien vom einzig verbliebenen Arbeitgeber ausgezahlt: dem theokratischen Wiedertäuferstaat.
Die Lebensmittel wurden in den Privathaushalten beschlagnahmt und nach dem Willen der staatlichen Diakone rationiert. Um die Einwanderer unterzubringen wurden außerdem alle Privathäuser vergemeinschaftet und jeder durfte sich überall einquartieren; es war nun illegal Türen zu schließen, geschweige denn zu verriegeln. Es wurden gemeinschaftliche Speisesäle eingerichtet in denen die Menschen gemeinsam zu Lesungen aus dem Alten Testament aßen.
Dieser Zwangskommunismus und die Schreckensherrschaft wurden im Namen der Gemeinschaft und der christlichen "Liebe" ausgeübt. All diese Vergemeinschaftung wurde als erster großer Schritt in Richtung eines totalen egalitären Kommunismus betrachtet, in dem, wie Rothmann es ausdrückte, "alle Dinge gemeinsam sein sollten, es sollte kein Privateigentum mehr geben und niemand sollte mehr arbeiten, sondern einfach auf Gott vertrauen". Der arbeitsfreie Teil kam natürlich irgendwie niemals.
Ein Flugblatt, das im Oktober 1534 an andere wiedertäuferische Gemeinschaften verschickt wurde, begrüßte die neue Ordnung der christlichen Liebe durch Terror:
Denn wir haben nicht nur alles was wir besitzen in eine gemeinsame Kasse gelegt, die von Diakonen betreut wird und leben davon nach unserem Bedarf; wir loben Gott durch Christus mit einem Herzen und Verstand und sind bereit, einander zu helfen in jeder Art von Dienst. Und dementsprechend ist alles, was der Selbstsucht und dem Privateigentum gedient hat, wie Kaufen und Verkaufen, Arbeiten für Geld, Zinsen nehmen und Wucher praktizieren...oder den Schweiß der Armen essen und trinken... und in der Tat alles, was gegen die Liebe verstößt - all das ist unter uns abgeschafft durch die Macht der Liebe und der Gemeinschaft.»*
Konsequent gaben die Wiedertäufer von Münster nicht vor die intellektuelle Freiheit zu bewahren, während sie alles materielle Eigentum vergemeinschafteten. Denn die Täufer rühmten sich ihres Mangels an Bildung und behaupteten, dass gerade die Ungebildeten und Ungewaschenen die Auserwählten der Welt sein würden. Der Täufermob verbrannte mit besonderem Vergnügen alle Bücher und Handschriften der Dombibliothek und schließlich verbot Matthys Mitte März 1534 alle Bücher mit Ausnahme des Guten Buches - der Bibel. Um den totalen Bruch mit der sündigen Vergangenheit zu symbolisieren wurden alle Bücher, die sich in privatem und öffentlichem Besitz befanden in ein großes gemeinsames Feuer geworfen. All dies sorgte natürlich dafür, dass die einzige Theologie oder Schriftauslegung, die den Münsteranern offenstand, diejenige von Matthys und den anderen Wiedertäuferpredigern war.
Ende März wurde Matthys jedoch von seiner aufgeblähten Selbstüberschätzung eingeholt. In der Überzeugung, dass Gott ihm und einigen Gläubigen befohlen hatte, die Belagerung des Bischofs aufzuheben und die Stadt zu befreien, stürmten Matthys und einige andere aus den Toren auf das belagernde Heer zu und wurden buchstäblich in Stücke gehackt. In einer Zeit, in der der Gedanke der vollen Religionsfreiheit praktisch unbekannt war, kann man sich vorstellen, dass Wiederäufer, die den orthodoxeren Christen in die Hände fielen, nicht sehr freundlich behandelt wurden.
Nach dem Tod von Matthys war Münster in den Händen des jungen Bockelson. Und wenn Matthys das Volk von Münster mit Peitschen gezüchtigt hatte, würde Bockelson sie mit Skorpionen züchtigen. Bockelson verschwendete keine Zeit mit der Trauer um seinen Mentor. Er predigte zu den Gläubigen: «Gott wird euch einen anderen Propheten geben, der noch mächtiger sein wird». Wie könnte dieser junge Enthusiast seinen Meister noch übertreffen? Anfang Mai erregte Bockelson die Aufmerksamkeit der Stadt, als er in einem Rausch nackt durch die Straßen rannte und dann in eine dreitägige stille Ekstase verfiel. Als er wieder aufstand, verkündete er der gesamten Bevölkerung eine neue Dispensation, die Gott ihm offenbart hatte. Mit Gott an seiner Seite schaffte Bockelson die alten Ämter des Stadtrats und der Bürgermeister ab und setzte einen neuen Rat der 12 Ältesten ein, wobei er selbst natürlich der Älteste war. Den Ältesten wurde nun die volle Verfügungsgewalt über Leben und Tod, Eigentum und Geist eines jeden Einwohners von Münster übertragen. Es wurde ein strenges System der Zwangsarbeit eingeführt bei dem alle Handwerker, die nicht zum Militär eingezogen wurden, nun als öffentliche Angestellte ohne Entlohnung für die Gemeinschaft arbeiten mussten. Das bedeutete natürlich, dass die Zünfte abgeschafft waren.
Der Totalitarismus in Münster war nun vollendet. Der Tod war jetzt die Strafe für praktisch jede unabhängige Handlung, egal ob gut oder schlecht. Die Todesstrafe wurde für folgende schwere Verbrechen verhängt: Mord, Diebstahl, Lüge, Geiz und Streit(!). Tod wurde auch für jede erdenkliche Art von Ungehorsam verordnet: die Jungen gegen ihre Eltern, die Ehefrauen gegen ihre Ehemänner und natürlich überhaupt jemand gegen die auserwählten Vertreter Gottes auf Erden, die totalitäre Regierung von Münster. Bernt Knipperdollinck wurde zum Oberscharfrichter ernannt, um die Dekrete durchzusetzen.
Der einzige Aspekt des Lebens der bisher unangetastet geblieben war, war der Sex und dieser kam nun unter den Hammer von Bockelsons totaler Willkür. Die einzige erlaubte sexuelle Beziehung war die Ehe zwischen zwei Wiedertäufern. Sex in jeder anderen Form, einschließlich der Ehe mit einem "Gottlosen", war ein Kapitalverbrechen. Doch schon bald ging Bockelson über dieses eher altmodische Credo hinaus und beschloss die obligatorische Polygamie in Münster einzuführen. Da viele der Vertriebenen ihre Frauen und Töchter zurücklassen mussten, gab es in Münster nun dreimal so viele heiratsfähige Frauen wie Männer, so dass die Polygamie technisch möglich geworden war. Bockelson bekehrte die anderen eher verblüfften Prediger, indem er die Polygamie unter den Patriarchen Israels als Beispiel anführte und Andersdenkende mit dem Tod bedrohte.
Die obligatorische Polygamie war vielen der Bevölkerung Münsters zu viel und sie begannen aus Protest einen Aufstand. Die Rebellion wurde jedoch schnell niedergeschlagen und die meisten Aufständischen hingerichtet. Auch andere Abweichler fanden in der Hinrichtung ihr Schicksal. Und so wurde im August 1534 die Polygamie in Münster zwangsweise eingeführt. Wie nicht anders zu erwarten, fand der junge Bockelson sofort Gefallen an dem neuen Regime und schon bald hatte er einen Harem von 15 Ehefrauen, darunter Divara, die schöne junge Witwe von Jan Matthys. Auch der Rest der männlichen Bevölkerung nahm das neue Dekret umgehend an. Vielen Frauen gefiel die neue Regelung nicht und so erließen die Ältesten ein Gesetz, das die Zwangsverheiratung für alle Frauen unter (und vermutlich auch über) einem bestimmten Alter anordnete, was in der Regel bedeutete, dass diese Frauen zwangsweise zur dritten oder vierten Frau werden mussten.
Da die Eheschließung unter den Gottlosen nicht nur ungültig, sondern auch illegal war, wurden die Ehefrauen der Vertriebenen zum Freiwild und waren gezwungen, «gute Täufer zu heiraten». Auf die Verweigerung der Einhaltung des neuen Gesetzes stand natürlich die Todesstrafe und eine Reihe von Frauen wurde daraufhin tatsächlich hingerichtet. Die "alten" Ehefrauen, die sich über die neuen Frauen in ihrem Haushalt ärgerten, wurden ebenfalls unterdrückt und ihr Streit wurde zu einem Kapitalverbrechen. Viele Frauen wurden wegen Streitens hingerichtet.
Doch der lange Arm des Staates reichte nur bis zu einem gewissen Punkt und als ersten internen Rückschlag mussten Bockelson und seine Männer einlenken und Scheidungen erlauben. In der Tat war die Zeremonie der Eheschließung nun gänzlich verboten und die Scheidung wurde sehr einfach gemacht. Dies hatte zur Folge, dass Münster nun unter ein Regime fiel, das einer obligatorischen freien Liebe gleichkam. Und so wurde innerhalb weniger Monate aus einem rigiden Puritanismus ein Regime der Zwangspromiskuität.
In der Zwischenzeit erwies sich Bockelson als ein hervorragender Organisator einer belagerten Stadt. Zwangsarbeit, militärisch und zivil, wurde streng durchgesetzt. Die bischöfliche Armee bestand aus schlecht und unregelmäßig bezahlten Söldnern und Bockelson konnte viele von ihnen zur Desertion bewegen, indem er ihnen eine regelmäßige Bezahlung anbot (Bezahlung in Geld, im Gegensatz zu Bockelsons rigidem internen geldlosen Kommunismus). Betrunkene Ex-Söldner wurden jedoch sofort erschossen. Als der Bischof Flugblätter in die Stadt schoss, in denen er eine allgemeine Amnestie im Gegenzug zur Kapitulation anbot, machte Bockelson das Lesen solcher Flugblätter zu einem Verbrechen, das - natürlich - mit dem Tod bestraft wurde.
Ende August 1534 waren die bischöflichen Armeen in Aufruhr und die Belagerung wurde vorübergehend aufgehoben. Jan Bockelson nutzte diese Gelegenheit, um seine "egalitäre" kommunistische Revolution einen Schritt weiter zu führen: Er ließ sich zum König und Messias der Endzeit ernennen.
Sich selbst zum König zu ernennen, hätte geschmacklos und vielleicht sogar unrechtmäßig erscheinen können. Deswegen beauftragte Bockelson Dusentschur, einen Goldschmied aus einer nahe gelegenen Stadt und selbsternannten Propheten mit dieser Aufgabe. Anfang September verkündete Dusentschur allen eine neue Offenbarung: Jan Bockelson sollte König der ganzen Welt werden, der Erbe König Davids und diesen Thron so lange bewahren, bis Gott selbst sein Königreich wieder übernehmen würde. Es überrascht nicht, dass Bockelson bestätigte, dass er selbst genau dieselbe Offenbarung erlebt hatte. Dusentschur überreichte Bockelson ein Schwert der Gerechtigkeit, salbte ihn und rief ihn zum König der Welt aus. Bockelson war natürlich einen Moment lang bescheiden; er warf sich nieder und bat Gott um Führung. Aber er sorgte dafür, dass er diese Führung schnell erhielt. Und es stellte sich heraus, mirabile dictu, dass Dusentschur Recht behalten sollte. Bockelson verkündete der Menge, dass Gott ihm nun «Macht über alle Völker der Erde» gegeben habe; jeder, der es wagen könnte sich dem Willen Gottes zu widersetzen, «soll unverzüglich mit dem Schwert getötet werden».
Und so wurde Jan Bockelson trotz einiger gemurmelter Proteste zum König der Welt und Messias erklärt und die Täuferprediger von Münster erklärten ihrer verwirrten Herde, dass Bockelson tatsächlich der Messias sei, wie im Alten Testament vorhergesagt wurde. Bockelson wäre rechtmäßiger Herrscher über die ganze Welt, sowohl weltlich als auch geistlich.
Bei den "Egalitären" kommt es oft vor, dass sie ein Schlupfloch, eine besondere Fluchtmöglichkeit aus der tristen Gleichförmigkeit des Lebens schaffen - für sich selbst. Und so war es auch bei König Bockelson. Schließlich war es wichtig, die Bedeutung der Ankunft des Messias in jeder Hinsicht zu betonen. So trug Bockelson die feinsten Gewänder, Metalle und Schmuck; er ernannte Höflinge und Waffenknechte, die ebenfalls in prächtiger Ausstattung erschienen. Die Hauptfrau von König Bockelson, Divara, wurde zur Königin der Welt ausgerufen und auch sie war in prächtige Gewänder gekleidet und hatte ein Gefolge von Höflingen und Gefolgsleuten. Dieser luxuriöse Hofstaat von etwa zweihundert Personen war in prächtigen Villen untergebracht, die für diesen Anlass beschlagnahmt worden waren. Auf dem Stadtplatz wurde ein mit einem Goldtuch bespannter Thron aufgestellt und König Bockelson hielt dort Hof, trug eine Krone und ein Zepter. Eine königliche Leibwache schützte die gesamte Prozession. Alle treuen Helfer Bockelsons wurden mit hohem Ansehen und Prunk belohnt. Knipperdollinck war der oberste Minister und Rothmann der königliche Redner.
Wenn der Kommunismus die perfekte Gesellschaft ist, so muss doch irgendjemand in den Genuss seiner Früchte kommen; wer wäre besser geeignet als der Messias und seine Höflinge? Obwohl das Privateigentum an Geld abgeschafft war, wurde das konfiszierte Gold und Silber nun zu Ziermünzen für den Ruhm des neuen Königs geprägt. Alle Pferde wurden beschlagnahmt um das bewaffnete Geschwader des Königs aufzustocken. Außerdem wurde die Namensgebung in Münster geändert; alle Straßen wurden umbenannt, Sonn- und Feiertage wurden abgeschafft und alle neugeborenen Kinder wurden vom König persönlich nach einem bestimmten Muster benannt.
In einer hungernden Sklavengesellschaft wie dem kommunistischen Münster konnten nicht alle Bürger in dem Luxus leben, den der König und sein Hofstaat genossen; tatsächlich setzte die neue herrschende Klasse nun eine rigide Klassenoligarchie durch, wie es sie selten zuvor gegeben hatte. Damit der König und seine Adligen in großem Luxus leben konnten, wurde allen anderen in Münster strenge Sparsamkeit auferlegt. Die unterworfene Bevölkerung war bereits ihrer Häuser und eines Großteils ihrer Lebensmittel beraubt worden; nun wurde jeglicher überflüssige Luxus für den Pöbel verboten. Kleidung und Bettzeug waren streng rationiert und alle "Überschüsse" wurden unter Androhung des Todes an König Bockelson übergeben. Jedes Haus wurde gründlich durchsucht und 83 Wagenladungen "überschüssiger" Kleidung eingesammelt.
Es ist nicht verwunderlich, dass die verblendeten Massen von Münster zu murren begannen, weil sie gezwungen waren in bitterer Armut zu leben, während der König und seine Höflinge von den Erträgen ihrer beschlagnahmten Besitztümer in großem Luxus lebten. So musste Bockelson sie mit Propaganda über das neue System aufklären. Die Erklärung lautete: Es war für Bockelson in Ordnung, in Prunk und Luxus zu leben, denn er war bereits völlig tot für die Welt und das Fleisch. Da er für die Welt tot war, zählte sein Luxus im Grunde genommen nicht. Im Stil eines jeden Gurus, der jemals im Luxus unter seinen leichtgläubigen Anhängern gelebt hat, erklärte er, dass materielle Gegenstände für ihn keinen Wert hätten. Wie eine solche "Logik" jemals jemanden täuschen konnte, ist unverständlich. Vor allem aber versicherte Bockelson seinen Untertanen, dass er und sein Hof nur die Vorhut der neuen Ordnung seien; bald würden auch sie in demselben tausendjährigen Luxus leben. Unter ihrer neuen Ordnung würde das Volk von Münster mit dem Willen Gottes bewaffnet die ganze Welt erobern und die Ungerechten ausrotten, woraufhin Jesus zurückkehren und alle in Luxus und Vollkommenheit leben würden. Ein gleichberechtigter Kommunismus mit großem Luxus für alle würde dann erreicht werden.
Mehr Unzufriedenheit bedeutete natürlich auch mehr Terror und König Bockelsons Herrschaft der "Liebe" verstärkte die Einschüchterung und das Abschlachten. Unmittelbar nach der Ausrufung der Monarchie verkündete der Prophet Dusentschur eine neue göttliche Offenbarung: Alle, die weiterhin mit König Bockelson nicht einverstanden waren oder ihm nicht gehorchten, sollten getötet und ihr Andenken ausgelöscht werden. Sie sollten für immer ausgerottet werden. Einige der Hauptopfer, die hingerichtet wurden waren Frauen: Frauen die getötet wurden, weil sie ihren Ehemännern die ehelichen Rechte verweigerten, weil sie einen Prediger beleidigten oder weil sie es wagten, Bigamie zu praktizieren - wobei Polygamie natürlich ein reines Männerprivileg war.
Trotz seiner ständigen Predigten über die Eroberung der Welt war König Bockelson nicht verrückt genug, dies zu versuchen, zumal die Armee des Bischofs die Stadt erneut belagerte. Stattdessen verwendete er geschickt einen Großteil des enteigneten Goldes und Silbers, um Apostel und Pamphlete in die umliegenden Gebiete Europas zu senden und zu versuchen, die Massen für die wiedertäuferische Revolution aufzustacheln. Die Propaganda zeigte große Wirkung und im Januar 1535 kam es in den ganzen Niederlanden und Nordwestdeutschland zu schweren Massenaufständen. Tausend bewaffnete Wiedertäufer versammelten sich unter der Führung eines Mannes, der sich Christus, Sohn Gottes, nannte und es kam zu ernsthaften Wiedertäuferaufständen in Westfriesland, in der Stadt Minden und sogar in der großen Stadt Amsterdam, wo es den Aufständischen gelang, das Rathaus zu erobern. Alle diese Aufstände wurden schließlich niedergeschlagen, wobei der Verrat der Namen der Aufständischen und der Standorte ihrer Munitionsdepots an die verschiedenen Behörden eine große Hilfe war. Die Fürsten Nordwesteuropas hatten inzwischen genug und alle Staaten des Heiligen Römischen Reiches erklärten sich bereit, Truppen zur Zerschlagung des ungeheuerlichen und höllischen Regimes in Münster zu stellen. Im Januar 1535 wurde Münster zum ersten Mal vollständig und erfolgreich blockiert und von der Außenwelt abgeschnitten. Das Establishment ging daraufhin dazu über, die Bevölkerung von Münster auszuhungern und zur Aufgabe zu zwingen. Es kam sofort zu einer Lebensmittelknappheit und die Krise wurde mit der typischen Entschlossenheit angegangen: alle verbliebenen Lebensmittel wurden beschlagnahmt und alle Pferde getötet, um den König, seinen Hofstaat und seine bewaffneten Wachen zu ernähren. Der König und sein Hofstaat aßen und tranken zu jeder Zeit gut, während Hungersnot und Verwüstung in Münster wüteten und die Massen buchstäblich alles, auch Ungenießbares, aßen, was sie in die Finger bekamen.
König Bockelson hielt seine Herrschaft aufrecht, indem er die hungernden Massen mit ständiger Propaganda und Versprechungen versorgte. Gott würde sie auf jeden Fall bis Ostern retten, sonst würde er sich auf dem Stadtplatz verbrennen lassen. Als Ostern kam und ging, erklärte Bockelson listig, er habe nur die "geistige" Erlösung gemeint. Er versprach, dass Gott Kopfsteinpflaster in Brot verwandeln würde, was natürlich auch nicht geschah. Schließlich befahl Bockelson, der seit langem vom Theater fasziniert war, seinen hungernden Untertanen drei Tage lang zu tanzen und sich sportlich zu betätigen. Es wurden Theateraufführungen und eine schwarze Messe abgehalten. Die Hungersnot war nun allgegenwärtig.
Das arme glücklose Volk von Münster war nun dem totalen Untergang geweiht. Der Bischof ließ immer wieder Flugblätter in die Stadt werfen, in denen er eine Generalamnestie versprach, wenn das Volk sich nur auflehnen und König Bockelson und seinen Hofstaat absetzen und ausliefern würde. Um sich vor einer solchen Bedrohung zu schützen, verschärfte Bockelson seine Schreckensherrschaft noch weiter. Anfang Mai teilte er die Stadt in 12 Sektionen auf und setzte für jede einen "Herzog" mit einer bewaffneten Truppe von 24 Mann ein. Die Herzöge waren Ausländer wie er selbst; als niederländische Einwanderer waren sie eher loyal gegenüber Bockelson. Jedem Herzog war es strengstens untersagt, seinen Bereich zu verlassen und die Herzöge ihrerseits untersagten jegliche Zusammenkunft auch nur einiger weniger Personen. Niemandem war es erlaubt, die Stadt zu verlassen und jeder, der dabei erwischt wurde, wie er eine Flucht plante, jemandem bei der Flucht half oder den König kritisierte, wurde sofort geköpft, in der Regel von König Bockelson selbst. Bis Mitte Juni kam es täglich zu solchen Taten, wobei die Leichen oft gevierteilt und als Warnung für die Massen aufgehängt wurden.
Bockelson hätte zweifellos lieber die gesamte Bevölkerung verhungern lassen, als sich zu ergeben; doch zwei Ausbrecher verrieten Schwachstellen in der Stadtverteidigung und in der Nacht des 24. Juni 1535 fand der Alptraum Neu-Jerusalems schließlich sein blutiges Ende. Die verbliebenen mehrere hundert täuferischen Kämpfer ergaben sich im Rahmen einer Amnestie und wurden prompt abgeschlachtet und Königin Divara wurde enthauptet. Ex-König Bockelson wurde an einer Kette herumgeführt und im folgenden Januar zusammen mit Knipperdollinck öffentlich zu Tode gefoltert und ihre Leichen in Käfigen an einem Kirchturm aufgehängt.
Das alte Establishment von Münster wurde ordnungsgemäß wiederhergestellt und die Stadt wurde wieder katholisch. Die Sterne standen wieder günstig und die Ereignisse von 1534-35 führten verständlicherweise zu einem anhaltenden Misstrauen gegenüber Mystik und enthusiastischen Bewegungen im gesamten protestantischen Europa.
Ein Auszug aus:
An Austrian Perspective on the History of Economic Thought von Murray Rothbard