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- 02. Juni 2022
Freie Republik Cospaia
Auf der Suche nach einem Beispiel für Libertarismus oder Anarchokapitalismus beziehen sie sich viele Antietatisten gerne auf Modelle, die auf Systemen basieren, die wir bereits haben, so wie freiwillige Versicherungen oder Sicherheitsfirmen anstelle des Staates. Aber das befriedigt die andere Seite für gewöhnlich nicht. Sie wollen ein historisches, greifbares Beispiel für Anarchismus oder radikalen Libertarismus in der Praxis. Es kann schwer sein, so einen Ort zu benennen. Die meisten "anarchistischen" Gesellschaften arbeiteten mit Zwang, wie die Pariser Kommune. Die meisten waren zudem kommunistisch, so wie Puerto Real. Diese Beispiele sind nicht geeignet zu zeigen, daß freier Markt und Voluntarismus praktische oder friedliche Gesellschaftsmodelle sind.
Aber ein Ort, der eine lang anhaltende staatenlose Gesellschaft gut veranschaulicht, ist die Republik von Cospaia. Ein relativ unbekannter, italienischer Stadtstaat.
Die Republik Cospaia bestand zwischen 1440 und 1826. Das sind fast vierhundert Jahre. Zum Vergleich: Die Republik Cospaia existierte bereits 52 Jahre, als Europa im Jahr 1492 Amerika entdeckte. Sie war die langlebigste, modernste, kapitalistischste und westlichste anarchistische Gesellschaften die je existierte. "Westlich" ist daher wichtig, weil es oft nicht ausreicht, anarchische einheimische Zivilisationen Amerikas und Ozeaniens anzuführen. Einige argumentieren, daß ihr Anarchismus das Ergebnis schlecht fortgeschrittener Technologie oder relativer Isolation war. Mit Cospaia umgeht man all das. Cospaia war zum Zeitpunkt seiner Konzeption so entwickelt wie jeder andere Weiler inmitten eines ländlichen Raums. Bis zu seinem Ende im frühen 19. Jahrhundert entwickelte es sich in ähnlicher Geschwindigkeit wie die umliegenden Gebiete. Solange man nicht behauptet, daß der gesamte Mittelmeerraum bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein primitiv war, ist das Argument des geringen Fortschritts nicht stichhaltig.
Eine anarchische Region bedeutet keine chaotische Region. Es ist auch keine Region ohne ein Ordnungssystem oder die Durchsetzung der allgemeinen Moral. Alles, was einen Ort als anarchistisch qualifiziert, ist, daß ihm ein Gewaltmonopolist fehlt. Obwohl Cospaia keinen Staat - also keinen territorialen Gewaltmonopolisten - hatte, besaß es eine Art beratendes Gremium, das sich mit Angelegenheiten der Kirche, der Moral und dem Umgang mit externen Aggressoren befaßte (von denen es überraschend wenige gab). Dieses Gremium nahm die Form des "Rates der Ältesten und Familienoberhäupter" an und wird vielleicht nur für diese Einbeziehung von "Familienoberhäuptern" als Republik bezeichnet. Dieses Gremium entschied, mit wem die Familienmitglieder persönlich und geschäftlich zusammenarbeiteten. Das geschah nicht durch Gewalt, sondern durch familiären Druck. Trotz der Tatsache, daß dieser Rat gewaltfrei und, was noch wichtiger ist, kein Staat war, scheint Cospaia so stabil wie jede andere Region der Zeit gewesen zu sein. Es gab keine Steuern in Cospaia, mit Ausnahme der umstrittenen Existenz einer "Ratsmitgliedschaft-Gebühr". Wenn sie aber existierte, kann diese Gebühr nicht als Steuer bezeichnet werden, da die Teilnahme im Rat freiwillig war. Die Exkommunikation einer Familie aus dem Rat aufgrund einer Verweigerung dieser Gebühren wäre auch kein "negativer Zwang" gewesen, da diese Region nicht unter der Kontrolle Italiens stand und es eine breite Fluchtzone für Exilanten um Cospaia gab. Cospaia war nicht nur technologisch mit den umliegenden Regionen vergleichbar, sondern war in den 1500er Jahren auch die wichtigste Tabakproduktionsregion Italiens.
Dank der Exkommunikationspolitik des Papstes gegenüber Rauchern und dem Tabakverbot Italiens war Cospaia, das nicht italienisch war, der einzige Ort in Italien, der leicht Tabak produzieren konnte. Ihre Wirtschaft boomte. Cospaia hatte weder Gefängnisse noch Polizei, was durch eine robuste Kultur der Selbstverteidigung und generelle Einhaltung des Nichtaggressionsprinzips kompensiert wurde. Diese Haltung wurde wahrscheinlich durch die Nähe der Gemeinschaft (die Bevölkerung lag zwischen drei- und sechshundert) und der Beteiligung der Familien an der Regierungsführung geschaffen.
Am inspirierendsten an der Existenz und Geschichte von Cospaia ist, daß sie durch Zufall entstanden ist. Ein territorialer Streit zwischen dem Kirchenstaat und dem Großherzogtum Toskana ließ eine kleine Region zwischen zwei Flüssen außen vor. Als Cospaia bemerkte, daß es übersehen worden war, erklärte es seine Unabhängigkeit und weder das Herzogtum Toskana noch die päpstlichen Staaten kümmerten sich darum, es zu übernehmen. Seine Leute zahlten weder an externe noch an interne Behörden Steuern. Sie hatten kein Bedürfnis nach Gefängnissen, Polizei, Militär oder bürokratischen Alpträumen, um ihre Wirtschaft zu stören. Cospaia war nicht das Ergebnis einer Revolution oder eines inkrementellen Plans, den lokalen italienischen Staat von innen heraus zu zerstören. Sie waren keine Klone der organisierten und geplanten Gemeinden des mittelalterlichen Europas. Cospaia war einfach das Ergebnis einer Gemeinschaft mit einem Wunsch: in Ruhe gelassen zu werden. Cospaia war ein so erstaunlicher Unfall, daß sein "Militär", welches aus einer vergleichsweise schwachen Miniaturtruppe bestand, nie mit einem Konflikt von außen konfrontiert wurde, der bedeutend genug war, um überliefert zu werden. Cospaia war so friedlich, so klein und stellte ihren Nachbarn so viele Ressourcen zur Verfügung, daß niemand jemals eindringen oder angreifen wollte.
Das Ende von Cospaia kam mit seiner Aufnahme in den Kirchenstaat in den frühen 1800er Jahren. Sein Motto, Perpetua et firma Libertas, oder "Ewige und sichere Freiheit", verschwand nicht ganz. Die Republik hielt ihre Industrie aufrecht und verkaufte Tabak an das Ausland, während sie den Handel auf benachbarte toskanischen Regionen ausdehnte und deren Wirtschaft ebenso wie die eigene verbesserte. Es blieb nahezu steuerfrei und war bis weit ins 20. Jahrhundert eines der am niedrigsten besteuerten Gebiete Italiens. Mit der Beerdigung des Mottos von Cospaia wurde das robusteste Beispiel des praktischen Voluntarismus begraben. Aber Cospaias Geschichte ist nicht vergessen. Es ist das greifbarste und modernste Beispiel einer wahrhaft befreiten Gesellschaft. Man könnte behaupten, daß der Reichtum und die Homogenität der amerikanischen Kommunen der 1960er Jahre es waren, die sie lebenswert machten, und daß die Ländlichkeit und Isolation der Einheimischen ihren relativen Anarchismus zu einem Nebenprodukt des "Primitivismus" machte. Aber niemand kann das Gleiche über Cospaia sagen, einer winzigen Nation auf einem Hügel, so fortschrittlich wie jede andere Renaissance-Nation und der profitabelste Tabakmarkt in Italien.
Cospaia war nicht trotz seiner Freiheit, Gesetzlosigkeit und weit geöffneten Märkte, sondern wegen dieser Faktoren erfolgreich. Dank eines freiwilligen Zusammenschlusses von Persönlichkeiten aus der Gemeinde wurde Cospaia von einer kleinen und vergessenen Region für fast drei Jahrhunderte zum größten Tabakerzeuger in Italien. Ihre Existenz war die natürliche Folge des Ausscheidens des Staates aus der Region. Dieser Zustand der Natur, im Gegensatz zu Hobbes, war friedlicher und wohlhabender als der Zustand seiner Nachbarn mit Tabakprohibition. Cospaia ist bei weitem das beste Beispiel für die Praktikabilität des Libertarismus, des Kapitalismus und des Anarchismus. Es ist ein Ort, den man bereisen, berühren und erleben konnte. Es ist eine realisierte Utopie, denn der Libertarismus ist nicht utopisch; sondern ewige und sichere Freiheit.
Eine Übersetzung von:
https://mises.org/power-market/republic-cospaia-anarchist-renaissance-city